Es fühlt sich so an, als hätte ich schon mein ganzes Leben lang getanzt“, erzählt Jamal Rashann Callender. Das ist einer der einprägendsten Sätze, die mir von unserer Unterhaltung im Kopf bleiben, denn Jamal ist nicht nur Tänzer – er ist Tanz. Das Tanzen ist der Grund, warum er jeden Morgen aufsteht, frühstückt, sich auf den Weg in den Proberaum des Tanzhauses vom Nationaltheater Mannheim (NTM) macht, um von 10 bis 18 Uhr zu trainieren, danach erschöpft aber glücklich ins Bett fällt und diese Routine an sechs Tagen der Woche wiederholt sowie an mehreren Abenden im Monat auf der großen Bühne des NTM performt.
Jamal ist seit 2015 Tänzer am NTM und steht in Stücken wie „Blaubarts Geheimnis“, „Der Tod und das Mädchen“ oder „Carmen“ als Solist auf der Bühne. Seine geschmeidige, elegante und kraftvolle Art zu tanzen ist mir direkt im ersten Stück aufgefallen, das ich mit Jamal gesehen habe. Egal ob als geheimnisvoller Frauenmörder „Blaubart“ oder als intensiver und dominanter „Tod“, Jamal tanzt jede seiner Rollen mit Leidenschaft und herausstechender Präsenz aber eben auch mit perfekter Körperbeherrschung. Als langjähriger Tanzfan und Besucherin des NTM Tanzes und als ehemalige Hobby-Balletttänzerin war ich natürlich sofort begeistert, als Jamal uns eingeladen hat, ihn zu begleiten.
Profi-Tänzer erkennt man selbst in einer großen Masse sofort an ihrer Haltung: kerzengerade, ein anmutiger langer Hals, Bauch-rein und Brust-raus und natürlich die ausgedrehten Hüften. So auch bei Jamal. Wir treffen uns am Bühneneingang des NTM und dürfen ihn bei einer kleinen privaten Trainingseinheit begleiten. Hier erzählt er mir erstmal etwas über seinen beeindruckenden Werdegang.
Jamal ist in USA geboren aber auf Barbados aufgewachsen, wo er auch den ersten Kontakt mit dem Tanz hatte. Seine Oma war es, die ihn zum Tanzen brachte. Verhältnismäßig spät kam er schließlich mit 8 Jahren über ein Schulprogramm an die Ballet Tech School in New York City, wo er die Grundlagen des Balletts sowie andere Tanzstile erlernte. „Am Anfang war ich ein bisschen rebellisch“, erzählt Jamal lachend, „ich hatte keine Lust, diese engen Balletthosen zu tragen und mochte Ballett deshalb nicht. Also hab ich mich für andere Tanzstile wie Stepptanz interessiert und auch Schauspielunterricht genommen.“ In der High-School kam schließlich die Liebe fürs Ballett über Umwege zurück, denn dort habe er Modern Dance, Hip Hop, westafrikanischen Tanz und Salsa gelernt und gemerkt, wie wichtig Ballett als Grundlage für alle Tanzstile sei.
Hartes Training, Fleiß und natürlich Talent und sehr viel Passion haben ihn schließlich über die Professional Performing Arts School/The Ailey School zur renommierten Juillard School in NYC gebracht, wo er seinen Abschluss machte. Danach war Jamal Teil einiger Companies in den USA, bis er schließlich hier in Mannheim landete und in der letzten Spielzeit von Kevin O’Day und Dominique Dumais sowie jetzt unter Stephan Thoss tanzt. Alle drei Choreographen seien vollkommen unterschiedlich, wie er mir erzählt, und er habe unter jedem sehr viel gelernt und sei sehr dankbar und glücklich, jetzt hier in Mannheim zu sein.
Ich frage mich natürlich sofort, wie es ihm in Mannheim gefällt, schließlich hat er bisher primär in New York City oder anderen amerikanischen Riesenstädten gelebt. „Es gefällt mir wirklich sehr gut! Viele Leute stellen mir natürlich die Frage, warum ich NYC für Mannheim verlasse, aber ich finde, Mannheim ist echt eine tolle Stadt. Und es hat ja sogar einige Gemeinsamkeiten mit New York.“ Das klingt für mich tatsächlich sehr begeistert und so erzählt mir Jamal, dass er außerdem großer Fan der internationalen Küche in Mannheim ist: „Ich kriege hier wirklich jedes Essen, was ich will. Das finde ich toll.“
An Mannheim schätze er außerdem die Lage, gerade mit der Nähe zum Frankfurter Flughafen, da sein Partner in Barcelona lebe und seine Familie in Barbados bzw. NYC. „In meiner Freizeit besuche ich sehr oft meinen Partner in Barcelona und da ist es natürlich sehr gut, dass ich in nur 30min. am Flughafen bin.“ Wenn Jamal nicht gerade tanzt oder im Fitnessstudio trainiert, entspannt er in den Sommermonaten gerne am Rhein oder geht auch mal auf einen Drink mit Freunden in den Jungbusch.
Einen großen Teil seiner schon relativen geringen Freizeit nimmt bei Jamal jedoch ebenfalls das Tanzen ein. Seit 2014 ist als Gründer des Barbados Dance Projects dafür verantwortlich, in seiner Heimat Tanzinteressierten eine kostenfreie Tanzausbildung zu ermöglichen. „Die Tanzszene in Barbados war praktisch nicht existent“, erklärt mir Jamal, „also habe ich das Projekt gegründet und am Anfang mit ein paar befreundeten Tänzern Tanzkurse unterrichtet.“
Inzwischen sei das Projekt richtig groß geworden, erzählt mir Jamal stolz. Anscheinend habe er mit der Idee einen Nerv getroffen und hat zwei feste Partner an Bord, die sich vor Ort um sein Herzensprojekt kümmern. Für Personen zwischen 9-25 werden in Barbados nun zahlreiche Tanzstile unterrichtet und das alles kostenfrei. Inzwischen hat sich daraus sogar ein kleines Ensemble gebildet, das in der Region tourt. Jamals Traum ist es, dass das Projekt noch größer wird und so noch mehr Menschen ein Zugang zum Tanzen ermöglicht werden kann.
Jamal ist also wirklich Tanz. Ich merke sofort, dass Tanzen für ihn kein Job ist, sondern eine echte Passion – aber wer würde auch sonst so ein körperlich anstrengendes Training auf sich nehmen? So beantwortet er mir auch die Frage zu seinen Zielen und Träumen mit: „Ich hoffe, dass ich noch lange weiter tanzen kann. Ich gehöre im NTM schon zu den älteren Tänzern, fühle mich aktuell aber so fit und im Einklang mit meinem Körper wie noch nie.“ Neben dem Tanzen ist für ihn seine Familie und sein Partner sehr wichtig, deshalb wünsche er sich irgendwann auch eine eigene Familie. Den Besuchern des NTM wünsche ich in jedem Fall auch, dass Jamal noch lange weiter tanzen kann.
Nationaltheater Mannheim: https://www.nationaltheater-mannheim.de/de/index.php
Barbados Dance Project: http://barbadosdanceproject.com/
Fotos & Video: Malte Papenfuss (https://www.maltepapenfuss.com/)
ENGLISH VERSION:
„It feels like I’ve been dancing all my life,“ says Jamal Rashann Callender. That’s one of the most memorable sentences from our conversation, because Jamal isn’t just a dancer – he IS dance. Dancing is the reason why he gets up every morning, has breakfast, makes his way to the rehearsal room at Tanzhaus of Nationaltheater Mannheim (NTM) to train from 10 a.m. to 6 p.m., then falls into bed exhausted but happy and repeats this routine six days a week and also performs on the big stage of the NTM several evenings a month.
Jamal has been a dancer at the NTM since 2015 and is a soloist in plays such as „Blaubarts Geheimnis“, „Der Tod und das Mädchen“ or „Carmen“. His smooth, elegant and powerful way of dancing caught my eye in the first piece I saw with Jamal. No matter if as the mysterious woman murderer „Blaubart“ or as an intense and dominant „Tod“, Jamal dances each of his roles with passion and outstanding presence but also with perfect body control. As a long-time dance fan and visitor of the NTM dance section and as a former hobby ballet dancer I was immediately thrilled when Jamal invited us to accompany him.
Professional dancers can be immediately recognized by their posture, even in a large mass: very straight, a graceful long neck, the belly tucked in and the chest out and of course the turned-out hips. So is Jamal. We meet at the stage entrance of the NTM and are allowed to accompany him during a small private training session. That’s where he tells me something about his impressive career.
Jamal was born in the USA but grew up in Barbados, where he had his first contact with dance. It was his grandmother who made him dance. At the age of 8 he finally came to the Ballet Tech School in New York City, where he learned the basics of ballet and other dance styles. „I was a bit of a rebel,“ Jamal laughs, „at first I didn’t like ballet because I didn’t want to wear ballet tights. So I became interested in other dance styles like tap dancing and also took some acting lessons“. In high school his love for ballet came back, because that’s where he learned Modern Dance, Hip Hop, West African Dance and Salsa and realized how important ballet was as a basis for all dance styles.
Hard training, hard work and of course talent and a lot of passion finally brought him via the Professional Performing Arts School/The Ailey School to the renowned Juillard School in NYC, where he graduated. Afterwards Jamal was part of several companies in the USA until he finally landed here in Mannheim and danced in the last season of Kevin O’Day and Dominique Dumais as well as now under Stephan Thoss. All three choreographers are completely different, as he tells me, and he has learned a lot from each of them and is very grateful and happy to be here in Mannheim now.
Of course, I immediately wonder how he likes it in Mannheim – he has lived primarily in New York City or other major American cities so far. „I really like it! Of course many people keep asking me why I left NYC for Mannheim, but I think Mannheim is really a nice city. And it even has some things in common with New York.“ That sounds really enthusiastic to me and so Jamal tells me that he is also a big fan of international cuisine in Mannheim: „I really feel like I can have every food I want here. I think that’s great.“
In Mannheim he also appreciates the location, especially with the proximity to Frankfurt airport, since his partner lives in Barcelona and his family in Barbados and NYC. „In my spare time I often visit my partner in Barcelona and so it’s very good that I am at the airport within only 30 mins. When Jamal’s not dancing or training in the gym, he likes to relax at the river Rhine in the summer months or even likes to have a drink with friends in the Jungbusch hood.
A large part of Jamal’s already relatively small free time is also spent with dance. Since 2014 Jamal is the founder of the Barbados Dance Project and has been responsible for providing dance education for those interested in dance in his former home. „The dance scene in Barbados was practically non-existent,“ explains Jamal, „so I started the project and started teaching dance classes with a few dancers.
Jamal proudly tells me that the project has grown really big in the meantime. He seems to have hit a nerve with the idea and has two partners who take care of this project. For people between 9-25 years, Barbados now offers numerous dance styles, all tuition-free. In the meantime, a small ensemble has even been formed which also tours throughout the region. Jamal’s dream is to make the project even bigger and to give more people access to dance.
So Jamal really IS dance. I immediately notice that dancing is not a job for him, but a real passion – but who else would take such a physically strenuous training? He answers my question about his goals and dreams as follows: „I hope I can continue dancing for a long time. I’m already one of the older dancers at the NTM, but currently I feel like my body’s at its’ peak physically, mentally and spiritually at the moment.“ Besides dancing, his family and his partner are very important to him, that’s why he wants to have his own family at some point. In any case, I also wish the NTM visitors that Jamal will be able to continue dancing for a long time!