Hendrik Maier ist der erste Nachtbürgermeister bzw. „Night Mayor“ Deutschlands. Kurz nach der Ernennung des 27-jährigen im August 2018 sah man sein Gesicht überall in den Medien. Zwischen all den offensichtlich gestellten TV-Beiträgen über und gehetzten Interviews mit ihm, war es schwer für mich einzuschätzen, wer sich wirklich hinter dem Amt des Night Mayors verbirgt. Was ein Nachtbürgermeister so macht und zu was die Position gut sein kann, hat uns Mirik Milan in Amsterdam bereits mehrere Jahre vorgelebt. Ich wollte es mir aber nicht nehmen lassen, den Mannheimer Night Mayor persönlich kennen zu lernen.
Hendrik begrüßt uns draußen im Hof vor seinem Büro bei Startup Mannheim und zündet sich lächelnd eine Zigarette an. Nach ein bisschen Smalltalk führt er uns durch die Räumlichkeiten, wir holen noch schnell einen Kaffee aus der Dankbar und setzten uns in einen modern eingerichteten Konferenzraum. Mit Beanie auf dem Kopf und einem Sweater des Mannheimer Labels „Junge Junge“ sitzt mir Hendrik auf der schwarzen Ledercouch gegenüber. Er wirkt locker und entspannt. Ganz hat er die Aufregung vor Pressegesprächen aber noch nicht abgelegt, erzählt er mir, schließlich macht er diesen Job erst seit knapp einem Dreivierteljahr.
Um erst einmal den Elefanten im Raum aus dem Weg zu schaffen, stelle ich ihm die Frage, die er mittlerweile schon 1000 mal gehört haben muss, um mich danach den wirklich spannenden und aufschlussreichen Fragen zu widmen:
Was genau ist denn dein Job als Nachtbürgermeister?
„Viele Leute gehen immer davon aus, dass es ein rein politisches Amt ist, weil das Wort Bürgermeister in der Stellenbezeichnung steht. Das ist aber nicht wirklich der Fall. Auf der einen Seite bin ich Sozialarbeiter, auf er anderen Seite bin ich Mediator aber auch Kulturprojektmanager. Im Endeffekt bin ich die Schnittstelle zwischen Nachtkultur, Behörden und Bevölkerung und versuche die ganzen die Kultur betreffenden Themen, die im Wirrwarr durch die Stadt wabern, einfach mal auf den Punkt zu bringen. Damit kann ich die Mannheimer Kulturbranche in der Öffentlichkeit vertreten. Da mir persönlich durch meine Booking-Agentur die Livemusikkultur sehr am Herzen liegt, versuche ich diese auch als Nachtbürgermeister zu fördern. Als Mediator versuche ich, verschiedene Interessen an einen runden Tisch zu bringen und dabei zu helfen, einen Konsens zu finden. Das heißt, ich treffe ich mich regelmäßig mit dem Ordnungsamt, der Polizei, den Betreibern und den Anwohnern, um einzelne Beschwerdefälle aber auch allgemeine Probleme zu besprechen.“
Am Anfang waren ja 50 Stunden im Monat für den Job angedacht. Inzwischen wurde das Ganze auf eine 70% Stelle hochgestuft. Aber mal ganz ehrlich: Gibt’s in dem Job überhaupt einen Feierabend?
„Nicht wirklich. Freizeit muss ich mir aktiv nehmen. Ich versuche, Sport zu machen und über Musik einen Ausgleich zu schaffen. Ich gehe super gerne und viel auf Konzerte und Festivals. Oft ist es aber schwierig. Wenn du mal acht, neun Tage am Stück von früh bis spät gearbeitet hast und dann mal einen Tag Pause machst, fällst du direkt flach. Ich habe dann oft erstmal drei Tage Fieber. Ich habe aber mit mir selbst den Deal getroffen, dass ich Arbeiten kategorisch ablehne, sobald ich merke, dass es zu viel wird. Obwohl ich dann natürlich auch die Konsequenzen tragen muss, glaube ich, dass ich das einfach so machen muss.“
Ist es schwer, in deinem Alter von den Behörden ernst genommen zu werden?
„Klar auf jeden Fall! Aber ich provoziere das natürlich auch irgendwo. Ich gehe zu allen Meetings genauso hin, wie ich jetzt auch hier sitze. Mit Beanie, Schlabber-Pulli und abgewetzten Schuhen. Ich glaube, wenn ich mich jetzt verkleide, verliere ich jede Kredibilität. Die Menschen sollen mich kennen lernen wie ich bin – wem es passt, dem passt es und wem nicht, dem passt es eben nicht! Ich habe aber gemerkt, dass Ergebnisse trotzdem ziehen. Die Leute hören mir zu, wollen meine Meinung hören und fragen auch aktiv bei mir nach.“
Hast du den Eindruck, dass du in deiner Position wirklich etwas bewegen kannst und vor allem auch dafür sorgen kannst, dass Geld für Projekte frei gemacht wird?
„Ja auf jeden Fall! Wir haben die Pfandkisten, das „ist Luisa hier“ Projekt und das Frauentaxi umgesetzt, sowie innerhalb von einer Woche 10 000 Euro für die Jungbuschvereinbarung organisiert. Irgendwo verkaufst du zwar deine Kreativität an den Job, dafür kannst du aber wirklich etwas bewegen, wenn du auch Lust hast und bereit bist, Arbeit zu investieren.“
Du hast eine eigene Booking-Agentur und bist Night Mayor. Wolltest du einen der beiden Jobs auch schon als Kind, oder wolltest du etwas ganz Anderes werden?
„Nein, tatsächlich wollte ich Fluglotse werden. Ich habe sogar alle nötigen Tests bestanden. Im Abschlussgespräch mit der Geschäftsführung war ich super aufgeregt und hatte einen trockenen Mund. Ich habe meine Hand nach dem Wasserglas ausgestreckt, aber voll dran vorbei gegriffen. Dummerweise kam dann zur Sprache, dass ich eine Hornhautverkrümmung habe und das ist leider ein absolutes No-Go in diesem Beruf.“
Hendrik ist jetzt richtig schön im Flow und erzählt mir alles über seinen Job als Night Mayor. Dabei wollen wir doch vor allem die Person hinter dem Amt besser kennenlernen. Also machen wir eine kurze Zigarettenpause und stellen ihm ein paar spontane Fragen, die so gar nichts mit seinem Amt als Nachtbürgermeister zu tun haben.
Und jetzt spontan eine ganz andere Frage: Was war dein letzter richtiger Fehlkauf?
„Ich mache eigentlich immer denselben persönlichen Fehlkauf: Pflanzen. Ich liebe Pflanzen und kaufe regelmäßig welche, habe aber absolut keinen grünen Daumen und eigentlich keine Zeit, mich darum zu kümmern.“
Würdest du lieber gegen eine pferdegroße Ente oder 100 entengroße Pferde kämpfen?
„Auf jeden Fall gegen 100 entengroße Pferde! Schlichtweg weil ich mir den Kampf gegen so viele kleine Pferde super episch vorstelle. Ganz nach dem Motto: Mit wie vielen kannst du es aufnehmen, bevor du untergehst?!“
Wirst du durch deinen Job auf der Straße erkannt?
„Haha nein, eigentlich gar nicht. Am Anfang, als ich noch stark in den Medien vertreten war, haben schon immer mal wieder Leute geschaut. Inzwischen aber eher im Gegenteil. Kürzlich hat mich der Betreiber meines Stammkiosks gefragt, ob ich nicht der Handballprofi bin. Vom Nachtbürgermeister keine Spur.“
Wie war denn der Medienrummel am Anfang für dich?
„Merkwürdig und schwierig. Auch für den Job. Da läufst du zusammen mit einem Fernsehteam durch den Jungbusch, obwohl dich eigentlich niemand kennt. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich geholfen hat, dass ich ernstgenommen werde – eher im Gegenteil. Aber mittlerweile ist das eigentlich kein Problem mehr.“
Gibt’s im Moment ein großes Problem, vor dem das Nachtleben in Mannheim steht?
„Ein wirklich großes Problem ist, dass sich die Musik und Ausgehkultur so extrem verändert hat. Die Leute haben durch das Trackbuisness fast keinen Bezug mehr zu Musik, weil Musik ein krasses Konsumgut geworden ist. Ergo gehe ich weniger in Clubs und gehe mehr in Bars, die auch mal Musik spielen. Dann wird am Wochenende in Locations getanzt, die eigentlich nur eine Bar sind. An sich ist das natürlich cool, aber es ist nun mal eine Bar und kein Club. Eine Bar, in der auf einmal eine Bassbox steht, die zu den Nachbarn hoch wummert. Da liegt das Problem, das zu Beginn der Entwicklung dieses Phänomens niemand realisiert hat. Da fehlen natürlich die kompletten Genehmigungen für Clubveranstaltungen und es ist schlichtweg zu laut. Da kannst du dann anfangen, mit der Polizei die Lautstärke zu messen oder die Anlage zu verplomben. Aber im Endeffekt gibt’s immer einen Weg, einfach wieder lauter zu machen. Schlussendlich hilft da einfach nur Vertrauen zwischen den Betreibern und den Behörden. Das ist natürlich nicht nur ein Problem in Mannheim, sondern überall.“
Gibt’s außer dem Stress noch andere negative Seiten an dem Job?
„So schön und wichtig der Job auch ist, er ist leider auch sehr bürokratisch. Man muss für viele kleine Themen extrem lang und extrem hart kämpfen. Manchmal bist du sicher, dass ein Projekt auf jeden Fall klappt, stößt aber schnell auf verschlossene Türen. Ein Beispiel dafür ist das Club Joker Projekt, dass ich zusammen mit Michael Geiser von der DiscoZwei verwirklichen wollte – also, dass jeder Club ein mal im Monat die Sperrzeiten von 5 auf 10 verlängern kann. Das ist aber leider an den bürokratischen Hürden gescheitert.“
Warum ist Mannheim die erste deutsche Stadt mit Nachtbürgermeister und warum nicht die Hauptstadt – und vor allem Feierhauptstadt – Berlin?
„Mannheim hat durch die gut vernetzte Kreativ-Community verdammt viel Potential und versucht immer im internationalen Vergleich mitzuhalten. Außerdem ist die Größe entscheidend. Berlin wäre viel zu groß und divers für einen einzelnen Nachtbürgermeister. Dort bräuchte man wie in Amsterdam mehrere Leute. Mannheim hat eine perfekte Größe für solche Projekte und vor allem auch die Leute, die Lust haben, wirklich etwas umzusetzen.“
Hast du einen Plan für die Zeit nach dem Job als Nachtbürgermeister?
„Am liebsten würde ich mit dem Know-How, das ich inzwischen habe, einen Club auf machen. Einen Club, in dem Bands vor kleinerem Publikum spielen können, aber auch sonntags zusammen Tatort geschaut werden kann.“
Fotos: Alexander Münch (https://amfoto.biz/)