Meiner Vorliebe für Fotografie kommt zugute, dass sich dafür mit dem ZEPHYR eine fabelhafte Anlaufstelle direkt vor der Haustüre befindet. Bislang habe ich hier noch keine Ausstellung besucht, die mich nicht in irgendeiner Weise in ihren Bann gezogen, zum Nachdenken gebracht oder durch die jeweilige Sichtweise der Person hinter der Kamera auf etwas Neues aufmerksam gemacht hat. All dies trifft auch zu auf „Terror Incognitus“ des britischen Fotografen Edmund Clark, dessen Werke ihr aktuell im ZEPHYR sehen könnt.
Schon der Titel lässt erahnen, dass diese Fotoausstellung sich mit einem ernsten Thema beschäftigt, und noch bevor ich den hellen Ausstellungsraum betrete, kann ich durch die Buchstabenlücken der abgeklebten Eingangstüren ein verwunderliches Bild von ein paar Bäumen ausmachen, in dessen Zentrum irgendetwas unerkennbar verpixelt ist – aufgrund von juristischen Umständen, wie ich später erfahre.
In den insgesamt sieben Kapiteln dieser Ausstellung enthüllt sich mir das verworrene und oft undurchsichtige Netzwerk, das der War on Terror um den gesamten Erdball spinnt. Es ist eine Geschichte von Macht und Machtlosigkeit, von Recht und Unrecht, vom Verborgenen im Allgegenwärtigen. Ein unabdingbarer Begleiter, ohne den ich diese Geschichte nicht verstehen würde, ist das Handbuch zu „Terror Incognitus“, das am Eingang ausliegt und wichtige Erklärungen und Informationen liefert.
Auf den meisten Fotografien sehe ich vor allem Dinge, die mir zunächst belanglos und banal erscheinen: Wandtapeten, Flure, Straßen, ein Hotelbett. Dieser vermeintlichen Inhaltsleere liegt jedoch immer eine tiefere Bedeutung zugrunde, denn nicht abgebildet sind die Menschen, die das Dargestellte erst relevant machen und auf deren Spuren sich Edmund Clark begibt. Sie sind unter anderem CIA-Agenten, Piloten, Terrorverdächtige und Gefangene.
Die fotografische Spurensuche führte den preisgekrönten Fotografen um die ganze Welt. Guantanamo und Afghanistan sind dabei Orte, die ich ohnehin mit dem Krieg gegen den Terror in Verbindung gebracht hätte, jedoch überraschen mich in diesem Zusammenhang beispielsweise Mailand, Mazedonien, Litauen oder Rumänien.
Besonders seine aktuellste Arbeit „Negative Publicity: Artefacts of Extraordinary Rendition“, die im ZEPHYR Premiere feiert und für die Edmund Clark mit dem Rechercheur Crofton Black zusammenarbeitete, beleuchtet diese letztgenannten Orte. Sie sind Schauplätze „außerordentlicher Überstellungen“ von Personen, die jenseits des Gesetzes ohne Anklage verschleppt, festgehalten und gefoltert werden können.
Was diese Ausstellung für mich sehr stark macht, ist das Zusammenspiel aus den Fotografien Edmund Clarks, zwei Filmen, den Zeichnungen von Gefangenen sowie teils geschwärzten Papierdokumenten, die wie Bindeglieder zwischen den Fotografien fungieren. Der Krieg gegen den Terror und seine Ausläufer waren für mich immer weit weg. Wie Edmund Clark mit der stillen Ästhetik seiner Arbeiten auf eindrucksvolle Art und Weise darlegt, muss ich diese Annahme jetzt überdenken: der unbekannte Terror, der leise selbst die gewöhnlichsten Orte streift, kann überall vorkommen.
Im Interview sprechen Edmund Clark und Crofton Black mit mir über ihre Zusammenarbeit und erzählen spannende Geschichten, die hinter einzelnen Ausstellungsstücken stehen.
EDMUND CLARK: Meine erste Arbeit, die sich mit diesem Thema befasste, war „Guantanamo: If the Light Goes Out“. Was mich von Anfang an interessierte, war die Gegensätzlichkeit zwischen der Darstellung der Gefangenen dort, diesen Männern mit Fußfesseln in ihren orangenen Overalls, die als die schlimmsten Verbrecher bezeichnet wurden, und der Tatsache, dass manche dieser Menschen irgendwann freigelassen wurden und zurück nach Hause kamen, weil sie komplett unschuldig waren.
CROFTON BLACK: Ich beschäftige mich als Rechercheur für Anwälte und eine regierungsunabhängige Organisation schon lange mit diesem Thema. Als ich Ed kennenlernte, haben wir schnell gemerkt, dass die Thematik uns gleichermaßen interessiert. Also setzten wir uns zusammen und haben uns Konzepte ausgedacht, um diese fast schon sonderbaren Machtsysteme, die nach und nach aufgedeckt wurden, bestmöglich zu veranschaulichen. Insgesamt hat die Recherche circa sechs Jahre in Anspruch genommen. Das Ergebnis des Ganzen war das Projekt „Negative Publicity: Artefacts of Extraordinary Rendition“, das hier im Zephyr zu sehen ist. Die Recherchen der vergangenen vier Jahre habe ich teilweise für dieses Projekt, aber auch für Rechtsfälle und journalistische Arbeiten nutzen können.
Muss man bei dieser Recherchearbeit mit oftmals vertraulichen Informationen oft Rückschläge einstecken?
CB: Rückschläge würde ich nicht sagen, aber es gibt viele Hürden, die man überwinden muss. Es hat beispielsweise Jahre gedauert, bis wir einige der hier ausgestellten Dokumente aufspüren oder zurückverfolgen konnten. Manche Informationen, wie der Streckenverlauf bestimmter Flugzeuge, waren für unsere Arbeit wichtig, also mussten wir da einfach dranbleiben. Auch wenn alles manchmal sehr langwierig war.
Ed, einige Deiner Fotos waren letztes Jahr beim Fotofestival Mannheim-Ludwigshafen-Heidelberg zu sehen. Sie sind oft an prekären Orten entstanden, die als geschlossene Räume sehr begrenzt waren und strengen Kontrollen unterlagen. Wie hat das deine Arbeit als Fotograf beeinflusst?
EC: Kontrolle und Zensur haben bei dem, was ich tue, eine Schlüsselfunktion. Einerseits wirken sie automatisch auf meine Arbeiten ein, andererseits versuche ich aber auch, diese Prozesse mithilfe der Fotografie bewusst zu erforschen und festzuhalten.
Eine paar der Fotografien hier haben mich besonders stutzig gemacht. Sie sind Teil der „Control Order House“-Serie und zeigen eine Katze. Dürfen Gefangene Haustiere halten?
CB: Das ist eine spannende Geschichte.
EC: Streng genommen sind Personen, die in den Control Order Houses in Großbritannien festgehalten werden, keine Gefangenen. Es ist zwar eine Form der Inhaftierung, aber juristisch gesehen ist es eher eine Art Hausarrest für Personen, die des Terrorismus verdächtigt werden. Die Form der Kontrolle über diese Menschen manifestiert sich in einer Art Mietvertrag, in dem alle – zum Teil detailliert absurden – Regeln stehen. Durfte der Bewohner des von mir fotografierten Hauses eine Katze halten? Den offiziellen Reglementierungen zufolge nicht. Theoretisch hätte er deshalb wegen des Verstoßes gegen die geltenden Auflagen angeklagt werden können. Dennoch: er selbst, die Wachmänner, die Anwälte – alle wussten, dass er diese Katze hatte, die in meinen Fotos ihr skurriles Dasein lebt.
Ist es nicht schwierig, jemandes Katze zu fotografieren, von der alle wissen, und gleichzeitig die Identität des Besitzers unter Verschluss zu halten?
EC: Meine Arbeit darf natürlich weder die Identität des Bewohners noch die Lage des Hauses preisgeben. Niemand, der entweder den Bewohner oder das Haus selbst kannte, hätte durch meine Fotos Rückschlüsse ziehen dürfen können, dass dort eine Kontrollverfügung mit im Spiel war. Das sind die Regeln, die mir als Fotograf auferlegt wurden. Die Katze hat sich trotzdem immer wieder aufs Bild gemogelt. Da die Regierung sowieso alle Fotos von mir für die weitere Verwendung prüfte und freigeben musste, habe ich einfach abgewartet, was passiert. Ich dachte zunächst, dass ich eine bestimmte Anzahl editierter Bilder zurückbekäme, was bestimmt auch interessant gewesen wäre. Am Ende erhielt ich aber alle zurück und musste selbst schauen, dass keine Rückschlüsse möglich waren. In der Zwischenzeit war der Bewohner in ein anderes Haus verlegt worden, weswegen die Katze in den Bildern rückblickend weniger Probleme machte.
In dieser Foto-Ausstellung sticht die dreidimensionale NATO-Draht-Installation besonders hervor. Was hat es damit auf sich?
EC: „The Victory Column of Enduring Freedom“ behandelt den Krieg in Afghanistan und die dort durchgeführte „Operation Andauernde Freiheit“. Ich war Ende 2013 vor Ort, als die militärische Großaktion, die längste in der Geschichte der USA, offiziell beendet wurde. Zum anderen spielt die Skulptur als Siegessäule auf die in Rom stehende Trajanssäule an, auf der ein spiralförmig nach oben verlaufendes Relief zu sehen ist. Der NATO-Draht ist mir überall begegnet und ist aufrecht aufgestellt ein Denk- und Mahnmal für die Triumphe der „Operation Enduring Freedom“.
Könnt Ihr ein einzelnes Dokument oder Foto identifizieren, welches das Konzept des Terror Incognitus präzise abbildet?
CB: Eine schwierige Frage. Der unbekannte Terror steckt wahrscheinlich in der Summe aller Orte, Erfahrungen und Kontrollprozesse, der Vernehmungen und der Foltervorfälle. Genauso kann man aber auch jedes einzelne Bild oder Dokument diesbezüglich diskutieren.
EC: Das sehe ich genauso. Ein großes, komplett verpixeltes Bild zeigt ursprünglich das luxuriöse Innere eines Flugzeugs. Es wurde von einem Flugzeugbeobachter in Salzburg aufgenommen, der sich für den Jet interessierte und von der Crew eingeladen wurde. In dem Jet wurde wahrscheinlich wenige Tage später ein Mann namens Abu Zubaydah transportiert, an dem die CIA ihre „verstärkten Verhörmethoden“ durchführte, in dem sie ihn über 80 Mal mit Waterboarding folterten. Aktuell befindet er sich in Guantanamo. Das ist nur ein Beispiel für die vielen unsichtbaren Schauplätze des globalen War on Terror, und zwar in doppelter Hinsicht: wir dürfen das eigentliche Foto nur in dieser Form zeigen, weil der Flugzeugbeobachter selbst vor den möglichen Konsequenzen seiner Aufnahme Angst hat. Geheimhaltung, Angst und Terror spielen auf vielen Leveln zusammen.
Fotos: Sebastian Weindel (www.sebastian-weindel.de)
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